Siebenschläfer im Wespennest – Die heimische Voodoo-Fauna von Sandra Knecht
Ein Bericht von Nora Grundtner mit Elisabeth Bohnet, Miriam Lederle, Cosima Macco, Nikola Mirkovic, Sascha Rothbart und Sabrina Vogelbacher
Der Eingang zur Kulturstiftung Basel H. Geiger ist so unscheinbar, dass wir beinahe daran vorbeistolpern. Eine kleine Tür, kaum beschriftet. Das Schaufenster sehen wir erst, als uns die Künstlerin darauf aufmerksam macht – so sehr blendet uns die Sonne. Doch wir sind angekommen: in der Ausstellung Home is a foreign place von Sandra Knecht, deren intimer Blick auf das Thema Heimat viele Fragestellungen des Sonderforschungsbereiches berührt. Die Künstlerin nimmt sich Zeit, uns mit eindringlicher Stimme ihre Arbeiten zu erläutern. Sie hatte, wie sie sagt, das Privileg, sich für die Ausstellung über zwei Jahre hinweg mit sich selbst auseinanderzusetzen, mit ihrer Heimat.

Die Beschäftigung mit der eigenen Identität habe sie mit vielem versöhnt. Finanziert wurde das Projekt von der Kulturstiftung, deren hehres Ziel es ist, Kunst für alle Menschen zugänglich zu machen und keine langweiligen Ausstellungen zu zeigen, wie uns der geschäftsführende Direktor Raphael Suter mitteilt.
Das ist mit der Ausstellung einer gelernten Sozialpädagogin und leidenschaftlichen Köchin, die erst seit neun Jahren Kunst macht, zweifellos geglückt. Sie selbst nehme sich nicht so wichtig, sagt Sandra Knecht. Aber Kunst über andere zu machen, das empfindet sie als anmaßend. Sie sei einfach ein Beispiel, vielleicht jedoch auch nicht das schlechteste, fügt sie hinzu.
Sehr klar, ohne sich hinter abstrakten Formulierungen zu verstecken, führt uns die gebürtige Schweizerin durch die zwei Ausstellungsräume, von außen nach innen, „von der Haut bis zu den Knochen“, von früher bis heute. Sie nimmt uns mit in ihre Kindheit, zu einschneidenden Erlebnissen und auf eine Reise. Mit jedem Schritt, den wir in der Ausstellung machen, zieht uns der Wortstrom der Künstlerin noch weiter hinein in ihre Welt, bis sie am Ende kaum noch etwas über ihre Werke äußert; zu nahe sind wir der Gegenwart gekommen, zu sehr berühren die Bilder intime Sphären.


Was ist Heimat? Kann man sie einwecken – als ließe sie sich in Einmachgläsern vor Veränderung bewahren? Doch die Künstlerin hat in manchen der Gefäßen Essigmutter versteckt. Trojanische Pferde, sagt sie. Nichts bleibt, alles ändert sich. Das Vanitas-Motiv zieht sich durch viele ihrer Werke – eine alte Gebetsbank, lediglich abgestaubt und neu geölt, auf deren Stufe der Bronzeabguss einer mumifizierten Katze liegt. Dahinter ein großformatiges Foto von Michelangelos florentinischer Medici Madonna. Das Jesuskind dreht sich hin zur mütterlichen Brust und damit weg von den Betenden. Der christliche Glaube bietet der Künstlerin kein Zuhause, auch wenn er prägend war für die ländliche Region, aus der sie stammt – und für die Struktur dieser Ausstellung. Sandra Knecht zeigt auf frühe Selbstportraits und spricht davon, wie überrascht sie war, wie häufig Tiere in ihrer Kunst erscheinen. Um selbst leben zu können, müsse etwas anderes sterben. Das gehe gar nicht anders, und sie spricht kurz von ihrem Leben auf dem Land, von ihren Tieren, die sie mit ihrer Partnerin aufzieht, schlachtet und isst, und vom Reiten. Denn auf dem Pferd zu sein, bedeutet für sie Heimat.
Ihre Fotos, oft Doppelportraits, unterscheiden nicht zwischen Menschen, Tieren und Pflanzen. Sie sei Porträtistin. Sie bildet Leben ab, aber auch Sterben, Werden und Vergehen: ein tätowierter Arm wird neben einem blutigen Schenkel eines Tieres gezeigt. Wir sind viel mehr Instinkt, als wir glauben, meint die Künstlerin – sie schätzt: 80 Prozent. Auf einem Foto blickt sie auf allen Vieren stehend direkt in die Kamera. Flankiert wird sie von behaarten und behornten Vierbeinern, unter deren langen Haaren man kaum noch die Künstlerin erkennt.

Sie sieht die Besucher*innen so an, wie sie selbst auf dem Land angeschaut wird. Ihre eigene Queerness erlebte die Künstlerin als etwas, das ihr das Aufgehen in der „sozialen Skulptur Dorf“ versagte. Und sie fragt, wie viel Diversität eine Gesellschaft verträgt. Wie kann ich bleiben, wenn ich nicht gewollt bin?
Dass Wohnen, ein Zuhause nicht gleichbleibe, sondern wandelbar sei, beweist ein ehemaliger Bienenkasten, der erst von Wespen und dann von einem Siebenschläfer als Wohnstätte ausgesucht wurde. Dieses Objekt sage eigentlich alles, meint Sandra Knecht. Eigentlich hätte sie auch nur das ausstellen können. Die gesamte Ausstellung versteht sie als dekonstruierten Wohnraum. Dazu gehört auch das ehemalige Bienenhaus, eine baufällige Holzhütte, die sie für einen Schweizer Franken erwarb und so unbearbeitet wie möglich zeigen wollte, so dass auch die Spinnen noch Teil der Ausstellung sein könnten. Echte Spinnen, nicht die von Louise Bourgeois, von der zwar eine Skulptur ausgestellt ist, über die sich Sandra Knecht aber auch ärgert, dass diese über das Spinnen-Maman-Thema nicht hinweggekommen sei. Wie ein Netz spinnt sich die Thematik von Bourgeois über das Bienenhaus bis hin zu den mumifizierten Katzen, die vor dem bösen Blick schützen und von Knecht mit der Sage der Schwarzen Spinne verbunden werden. Die Rituale und der Aberglaube der ländlichen Schweiz – die dortige „heimische Voodoo-Fauna“, wie sie es nennt – faszinieren die Künstlerin. Das ist es auch, das sie an einer Reise in Mexiko fesselt. Sie spricht von Ritualen, die mit aus Bambus gefertigten Tieren und Madonnen vollzogen werden. Objekte, die mit Feuerwerk gefüllt sind und umgeben von Menschenmassen zum Einsatz kommen, nicht vorstellbar in der Schweiz. Oder etwa doch? Wenn sie sich selbst mit Haifischmaske beim Tanzen ablichtet, die an (christliche) Abbildungen des Totentanzes erinnern, wirkt es nicht sonderlich abwegig.


Die Künstlerin sammelt. Sie arbeite mit Archiven, auch mit Gedächtnisarchiven. Nicht alles, womit sie sich selbst verbunden fühle, stelle sie aus. Doch alle Objekte der gezeigten Auswahl seien untereinander verbunden. Wie die in Bronze gegossene Rinde eines Birnbaums, ihr Lieblingsbaum, der vor dem Haus im Berner Oberland stand, in dem sie 16 Jahre gelebt habe. Dort klopfte die Bäuerin eines Nachts mit dem Besenstiel an die Decke, da der Bauer im Sterben lag. Die Rettung verfuhr sich, kam zu spät. Der Tote wurde drei Tage aufgebahrt. Eine Erfahrung, so intensiv, die sie festhalten, aber weder den verschiedenen Bauern noch die trauernde Bäuerin ablichten wollte. So wurde der Birnbaum vor dem Sterbezimmer im Foto portraitiert, in den Jahre später der Blitz schlug. Sie streicht über die zwei Zentimeter dünne Bronzerinde dieses verstorbenen Baumes, der sich genauso angefühlt habe, wie sie meint.
Die Ausstellung berührt viele Sinne. Neben dem Taktilen auch das Gehör. In einer Ecke steht Sandra Knechts Musikanlage aus den 1980ern mit einer Auswahl an Platten, die sie in den letzten Jahrzehnten begleitet haben und die die Besucher*innen laut anhören können, denn „silence is death“, zitiert die Künstlerin das Motto von Act Up und nimmt damit bewusst Bezug auf die Geschichte der Schwulenbewegung.
Nach eineinhalb Stunden sind wir keineswegs fertig. Noch so viele Fragen hätten wir an die Künstlerin stellen können, die ihre Objekte vorwiegend in Triptychen konzipiert und arrangiert hat. Auch diese Ausstellung ist Teil einer Trilogie: Nach „Mutter“ ist nun „Kind“ zu sehen; der aktuellen Leerstelle „Vater“ will Sandra Knecht sich im dritten Teil widmen. Bis dahin üben wir uns in Geduld und blättern durch die reichhaltige Publikation.
Die Exkursion wurde von Elisabeth Bohnet und Sabrina Vogelbacher aus dem TP C04 initiiert und durchgeführt.
