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Darren Korb (ft. Ashley Barrett): In the Blood (2020)

Heimat schaffen: Wie das Videospiel Hades und dessen Song „In the Blood“ Zugehörigkeitsverhandlungen aufzeigen

Auf den ersten Blick hat das Videospiel Hades aus dem Jahr 2020 wenig mit Heimat zu tun. Das beliebte Spiel des unabhängigen Studios Supergiant Games bietet eine Neuinterpretation griechischer Mythologie und wurde, zusammen mit seinem Soundtrack, mehrfach ausgezeichnet. Spielende beginnen in medias res: Als Zagreus, Sohn des Hades, versuchen sie aus der Unterwelt auszubrechen, um die leibliche Mutter Persephone aufzusuchen. Ein schier unmögliches Unterfangen, das im Spiel schnell mit dem Tod des Protagonisten endet. Zagreus erwacht im Haus seines Vaters mit den Worten „I’m home“ und startet noch einen (und noch einen, und noch einen) Versuch, die Unterwelt hinter sich zu lassen. 

Heimat vs. Herkunft

Die Unterwelt selbst scheint Zagreus feindselig gestimmt. Er muss sich in zahlreichen Kämpfen bewähren, seine Flucht wird außerdem durch Fallen und Naturgewalten erschwert. Auch die Beziehung zum strengen, wortkargen Vater ist angespannt und selbst Zagreus nahestehende Figuren wie Thanatos und Megara halten wenig von seinen Ausbruchsplänen. Die Unterwelt mag zwar sein Herkunftsort sein, sie stellt allerdings keine Heimat für Zagreus dar. In einer der Schlusssequenzen des Spiels singen Orpheus und Eurydike ein Lied mit dem Titel „It’s in the Blood“, in dem Zagreus ambivalente Beziehung zu seiner Heimat, der Unterwelt, thematisiert wird: „Run, all you like/from the place you belong/It’s always there/It’s in the air/Your dearest kin/beneath your skin.“ Diese Strophe sowie der Refrain (“It’s in the blood”) deuten auf einen gewissen Determinismus hin: „the place you belong“ wird zunächst als Ursprungs- und Familiensitz begriffen, auch wenn Zagreus die Unterwelt aufgrund seiner wiederholten Fluchtversuche dezidiert nicht als Heimat wahrnimmt und ihr zu entfliehen versucht. 

Im Liedtext werden die Familienbande betont („your dearest kin“, „in the blood“), und so müssen auch im Spiel zunächst familiäre Beziehungen aufgebaut werden. Die olympischen Gottheiten, bisher für Zagreus unbekannte Verwandte, bieten ihm Unterstützung und sprechen ihn als „Cousin“ oder „Neffen“ an und signalisieren so seine Zugehörigkeit zur Familie. Zeus lädt Zagreus außerdem mit folgenden Worten ein: „You'll have a better home where you belong, here on Olympus!“ und bietet damit einen alternativen Heimatsentwurf an. Jedoch kann Zagreus außerhalb der Unterwelt nicht überleben – jeder Versuch, ihr dauerhaft zu entfliehen, scheitert, und Zagreus erwacht im Haus des Vaters erneut zum Leben. Sowohl sein Geburtsort als auch seine Abstammung bestimmen also zu einem gewissen Grad, wo er sich beheimaten kann. 

Zugehörigkeit durch soziale Beziehungen und Gestaltungsräume

Dennoch gelingt es Zagreus, durch das aktive Knüpfen und Gestalten von Beziehungen Zugehörigkeit zu schaffen. Bei seiner Reise durch die Unterwelt trifft er z.B. wiederholt auf Eurydike und Patroklos, die ihn unterstützen; er geht zudem romantische Beziehungen mit Thanatos und Megara ein und freundet sich mit Orpheus und Sisyphos an, die er wiederum mit ihren geliebten Menschen zusammenführt. So gestaltet Zagreus für ihm nahestehende Charaktere die Unterwelt zu einem angenehmeren Ort, und es werden affektive (Ver)Bindungen geschaffen, die über den deterministischen Aspekt der Familienbande hinausgehen. Hades macht hierdurch unterschiedliche Formen sozialer Zugehörigkeit sichtbar. Diese werden über zahlreiche Spielrunden durch regelmäßigen und mehrmaligen Austausch geschaffen, was deren Aspekt als Praktik verdeutlicht. Ist die Unterwelt zu Beginn lediglich ein Ausgangspunkt für Zagreus Flucht, wird sie bis zum Ende des Spiels zum Ort, an dem die Figuren, die ihm am nächsten stehen, beheimatet sind. So lauten weitere Zeilen des Liedtextes: „Home is not where you live/It’s who cares when you’re gone”. 

Zuletzt gestaltet Zagreus die Unterwelt als Ort aktiv. Er kann über zahlreiche Spielrunden hinweg dekorative Elemente z. B. Ausstattungsgegenstände für sein Zimmer erwerben, einen ehemals zerstörten Gemeinschaftsraum wieder aufbauen, oder Schutzräume errichten, die zwischen den Kämpfen einen Gegenpol zur feindseligen Umgebung bieten. Durch diese Form der räumlichen Gestaltung wird Zugehörigkeit hier an Handlungsmöglichkeiten gebunden. Zagreus schafft sich auch dadurch eine Heimat in der Unterwelt, indem er dessen Räumlichkeiten auf seine Bedürfnisse (sozialer Austausch, Heilungsmöglichkeiten, etc.) einrichtet.

Im Spiel und auch im Liedtext werden so gegensätzliche Impulse des Heimatsbegriffs aufgezeigt: Einerseits scheint er vorbestimmt durch Herkunft und Familienbeziehungen, andererseits lassen sich Heimat und Zugehörigkeit aber auch auf unterschiedlichen Ebenen aktiv gestalten und (neu) verhandeln. Indem der Protagonist Familienbande neu knüpft, aber auch andere soziale Bindungen, z.B. in Form von Freundschaften, schafft, werden soziale und affektive Dimensionen von Heimat verdeutlicht. Zudem kann Zagreus im Laufe des Spiels die Unterwelt als Ort gestalten und sich auch in dieser Weise dort beheimaten. In beiden Fällen werden die entsprechenden Mechaniken über wiederholte, regelmäßige Interaktionen mit der Spielwelt freigeschaltet. So zeigt das Beispiel, dass sich das Medium des Videospiels besonders gut eignet, um Praktiken, die Heimat schaffen, zu verdeutlichen.

Heidelberg im November 2025
Valentina López Liendo, TP C05

Zu lesen ist der Liedtext von In the Blood

Trailer zum Game